Eine Ode an pragmatisches SEO

Wenn mich eine Sache manchmal echt auf die Palme bringt, dann sind es dogmatische SEO-Empfehlungen.

In der freien Wildbahn trifft man häufiger als man denkt Vorschläge und Empfehlungen für SEO-Maßnahmen, die so „detailverliebt“ sind und aus einer „perfekten SEO-Welt“ kommen, aber sich niemals in einer relevanten Kennzahl niederschlagen werden. Gerne fehlt diesen Maßnahmen auch völlig der Bezug zum Gesamtkontext einer Domain oder eines Projekts.

Warum regt einen das auf? Sind wir mal ehrlich – es gibt auch so genügend Misstrauen, schlechte Erfahrungen und gefährliches Halbwissen, das uns als SEOs immer wieder begegnet und uns die Arbeit erschweren kann. Wir kennen sie doch alle, die Sätze aus der Kategorie „ah ihr seid die, die Google austricksen“, „SEO bringt doch eh nichts“, you name it …

Vielleicht ist ein Teil davon, dass häufig zu wenig Pragmatismus im SEO gelebt wird. Wie man mit pragmatischem SEO mehr Vertrauen schafft und sich selbst das Leben einfacher macht, versuche ich im Folgenden zu erklären.

Wenn zwei zentrale Eigenschaften einen seniorigen SEO von einem Einsteiger unterscheiden, sind es vor allem die Erfahrung und die Fähigkeit richtig zu priorisieren. Diese „fallen natürlich nicht vom Himmel“ – trotzdem lohnt es sich, lieber früher als später immer wieder diese wichtigen Fragen zu stellen und ehrlich versuchen zu beantworten:

  • Was ist wirklich ein Problem?
  • Welche Lösung eines Problems bringt wirklich eine Verbesserung in Form einer relevanten Kennzahl?
  • Welcher erwartete Effekt eines Lösungsansatzes steht wirklich im Verhältnis zum zeitlichen & monetären Aufwand der Optimierung?

Was ich eingangs mit dogmatischen SEO-Empfehlungen meinte? Das vermutlich klassischste Beispiel sind sehr ausführliche Site Audits, die im Endeffekt aber nicht mehr als das Exportieren und Aufhübschen einer riesigen Datenflut aus SEO-Tools wie dem Screaming Frog sind.

Deshalb als Start drei wichtige Grundsätze, um in die richtige Spur zu kommen:

  • Nur weil ein Tool etwas erfassen und ausgeben kann, ist es noch lange kein Problem.
  • Nur weil ein Tool etwa als Issue ausgibt, heißt es noch lange nicht, dass es für Eure Seite / euren SEO Case ein Problem ist.
  • Nicht alle tatsächlichen Probleme lohnt es sich zu beheben.

Um es etwas konkreter zu machen, hier beispielsweise Standard Screaming Frog Hints, die einfach ein Hinweis und nicht automatisch ein SEO-Problem darstellen bzw. einfach ein Filter sind, in dem URLs einlaufen.

Ihr habt URLs mit Parametern – ja und?

Ihr habt Page Title mit demselben Inhalt wie die H1 – und jetzt?

Gleiches gilt für den ganzen Bereich „Security“ …

Und so weiter …

Nur weil in solchen Reports URLs einlaufen, liegt hier nicht automatisch ein Problem vor – nehmt Euch die Fragen und Grundsätze von oben zur Hand und mistet aus.

Genauso gibt es Hints, die auf „Probleme“ hindeuten, weil der Status Quo rein theoretisch nicht korrekt ist (Stichwort „perfekte SEO-Welt). Ihr werdet den Impact nach deren Behebung aber voraussichtlich in keiner relevanten Metrik reporten können. Beispiele gefällig?

  • H6s in der Hierarchie zu H5s machen
  • Boilerplate „zum Newsletter anmelden“ seitenweit die H3 entfernen
  • Image Titles optimieren
  • Bilddateien umbenennen
  • Meta Keywords entfernen, weil Google sie nicht mehr berücksichtigt

Was nicht heißt, dass wenn ihr gerade sowieso komplette Templates neu designed, es sich nicht anbietet, die HTML Headline Struktur komplett glatt zu ziehen oder wenn ihr das CMS wechselt Euch die Mühe spart die Meta Keywords zu migrieren – es geht eben mal wieder um das Verhältnis von Aufwand und Nutzen. Wo setzt man wirklich bei der Optimierung an, um die Website-Ziele zu erreichen? Die Erfahrung zeigt, es gibt fast überall dringlichere Baustellen als Themen wie die oben skizzierten.

Fun Fact: wo wird in der Regel hingegen viel zu wenig Zeit verbracht? Genau – beim Thema interne Verlinkung.

Sehr wilde Empfehlungen trifft man z.B. auch gerne beim Thema Technical SEO und Page Speed. Man könnte meinen es wird ständig überall „bleeding edge“ optimiert, wenn man liest, dass ungenutzte Schriftzeichen aus Fonts entfernt werden sollen … währenddessen werden auf derselben Seite 5 MB Third Party Code geladen, für Funktionen, die gar nicht genutzt werden. Wer auf diese Art und Weise Frontend-Ressourcen kapert, tut dies vielleicht das letzte Mal. Ohne messbaren Erfolg bekommst du vielleicht keine weiteren Story Points in den nächsten Sprints, und die Motivation fachfremder Experten, künftig gemeinsam das Thema SEO voranzubringen, dürfte sich auch in Grenzen halten.

Verliert bei der Priorisierung der umzusetzenden Maßnahmen also nie das Ziel, auf das ihr hinarbeitet, aus den Augen – SEO ist kein Selbstzweck.

Bleibt immer darauf bedacht das Budget möglichst effizient einzusetzen, indem ihr Euch selbst der Nächste seid. Warum? Am Ende eines jeden Projekts oder Geschäftsjahres wird Euch Euer Chef oder Kunde fragen „Was hat das jetzt gebracht?“ Und dieses Gespräch wird eindeutig angenehmer, wenn ihr handfeste Zahlen vorzeigen könnt, die Euch und Eure Arbeit in ein gutes Licht rücken. Also nie vergessen im Daily Business: mit welchen Maßnahmen ändern sich relevanten Zahlen am ehesten, damit dieses Gespräch nicht unangenehm wird 😉 Dazu gehört es ebenso, von gewünschten Maßnahmen anderer Stakeholder abzuraten, wenn ihr erkennt, dass sie Euch nicht maßgeblich weiterbringen außer auf der „perfekten SEO-Welt Checkliste“ irgendwo einen grünen Haken zu setzen.

Was sind wirklich relevante Kennzahlen?

  • Rankings
  • (Organischer) Traffic
  • (Organische) Conversion Rate / Conversions
  • (Organischer) Revenue

Deshalb musst du vielleicht trotzdem erst fünf Page Speed Metriken optimieren, um unterm Strich die Page Performance so zu verbessern, dass es sich in der Conversion Rate niederschlägt. Mit dieser Zielmetrik im Kopf, verhedderst du dich aber wahrscheinlich weniger in Tasks wie den ungenutzten Schriftzeichen eines Fonts und konzentrierst dich darauf, dass deine Total Blocking Time bei 15 Sekunden liegt.

Was mir abschließend noch sehr wichtig ist zu erwähnen: Pragmatisch heißt nicht schlampig! Der Aufruf soll sagen: besinnt Euch regelmäßig auf das Wesentliche! Was wollt ihr mit euren SEO-Maßnahmen erreichen? Und welche Maßnahme könnt ihr wirklich messen am Ende des Tages? Selbstverständlich greift vieles ineinander und baut aufeinander auf – deswegen lohnt es sich trotzdem regelmäßig mal „rauszuzoomen“. Unter SEOs ja eigentlich eine abgedroschene Floskel, aber wahr ist’s halt trotzdem:

IT DEPENDS,

  • ob‘s wirklich ein Problem ist und
  • ob‘s wirklich behoben werden muss

Was nicht heißt, dass es nicht extrem Spaß macht, sich auch mal in ein Thema „reinzunerden“ – das macht die SEOs ja auch aus 😉 Man sollte nur wissen, wann die Zeit dafür ist.

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